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Buchtipp: Hias Rebitsch – Der Berg ist nicht alles

Hias Rebitsch

Buchtipp:

Hias Rebitsch – Der Berg ist nicht alles

Ich möchte euch hiermit das im November 2010 im Tyrolia Verlag von Horst Höfler erschienene Buch “Hias Rebitsch – Der Berg ist nicht alles” vorstellen. Mathias “Hias” Rebitsch (1911-1990) gehörte in den 1930er- und 1940er-Jahren zu den weltweit besten Kletterern. Seine Erstbegehungen im Karwendel, Kaisergebirge oder in den Stubaier Alpen zählen zu den schwierigsten ihrer Zeit und nötigen selbst heutigen Spitzenbergsteigern Respekt ab. Rebitsch war in erster Linie Freikletterer und erreichte nachweislich bereits Ende der 1930er-Jahre den siebten Schwierigkeitsgrad – den es offiziell erst seit 1977 gibt. Legendär ist Hias’ Eiger-Nordwand-Versuch 1937 zusammen mit Ludwig Vörg: Nach einem infernalischen Wettersturz kamen sie als erste Partie lebend aus der berühmt-berüchtigten Wand zurück. Im selben Jahr erreichte Rebitsch am noch unbestiegenen Nanga Parbat den Silbersattel. Auf Sechstausendern der Puña de Atacama (Argentinien) entdeckte er ab Mitte der 1950er-Jahre bis dahin unbekannte Zeugnisse der Inkakultur (“Die silbernen Götter des Cerro Gallan”) und wurde darüber zum anerkannten Forscher und Höhenarchäologen.

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Leseprobe:

DER ROFAN-OSTWANDRISS

Mit verhunzten Kletterpatschen

Peter Habeler war erster Wiederholer dieses Durchstiegs, den selbst Hias mit einem glatten “Sechser” bewertet hatte. Bei dieser Neutour kämpfte Rebitsch nicht nur mit einem ungewöhnlichen Handicap, sondern auch mit moralischen Bedenken gegen “natürliche” Hilfsmittel, die seinem Freikletter-Ethos widersprachen.

Das war noch in der Notzeit von 1947, zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In den ausgeplünderten Innsbrucker Sportgeschäften gab es noch keinerlei Alpingerät zu kaufen. Aber aus dem Chaos des Zusammenbruchs hatte ich als Heeresbergführer eine komplette Felsausrüstung retten können. Darunter, als Allerwichtigstes, Kletterpatschen mit Manchonbesohlung. Zum besseren Verständnis für die heutige Kraxlergeneration: Die Manchon-Sohle, sie bestand aus einer dünnen, gepressten Schicht von Filz (wie sie auch für Hauspantoffeln verwendet wird), mit starken Zwirnfäden durchwoben. Die Sohlenspitzen meiner “Manchons” waren aber schon total abgerieben und mussten unbedingt erneuert werden. Das bedeutete, es musste vorne ein entsprechend zugeschnittenes Fleckchen Manchon angestückelt, das heißt aufgeklebt und angenäht werden.

Hias Rebitsch - Portraet

Foto: Tyrolia Verlag

Da lebte in meinem Heimatort Brixlegg ein bergsteigender Schuhmacher. Er sei auch schon richtig im Fels gekraxelt, behauptete er, und verstünde deshalb was von Kletterschuhen. Er versprach mir, meine schadhaften Patschen fachgerecht instand zu setzen. Ich dachte selbstverständlich, er besäße dazu einen Rest von Manchonfilz. Der Sepp Spiegl und ich, wir wollten hernach gleich ins Rofan hinauf.

Ich holte also meine gewiss fachmännisch reparierten Patschen beim Schuster ab. Aber – zu meinem Entsetzen – statt sie mit Manchon “anzuspitzeln”, hatte er auf ihrem Vorderteil ein abgerundetes Stück dicken, bocksteifen Sohlenleders angenäht, es zusätzlich mit Drahtstiften angenagelt und diese innen umgebogen. Und außerdem sein Meisterwerk auf Hochglanz poliert – wie bei den seinerzeitigen eleganten Salonschuhen. Er war sichtlich stolz auf seine Leistung. Doch für meinen Zweck war sie denkbar ungeeignet.

Da ich nach Art meines Kletterstils stets bestrebt war, mich nicht kraftraubend händisch hochzuziehen, sondern mich mittels Beinarbeit emporzuschieben, legte ich besonderen Wert auf dünne, anschmiegsame Patschensohlen, die mich auch die Feinststruktur des Gesteins hindurchfühlen und ihren Reibungshalt selbst auf kleinsten Tritten sicher beurteilen ließen. Doch vorläufig blieb mir nichts anderes übrig, als mir mit dieser Kreuzung zwischen Straßentretern und Kletterschuhen zu behelfen.

Auf der Bayreuther Hütte raute ich zwar das polierte, dicke Ledersohlenstück mit einer Holzraspel auf, deswegen blieb es aber gleich unbiegsam. Unser Ziel war die auffallende, noch undurchstiegene Einkerbung, welche die senkrechte Rofan-Ostwand ihrer ganzen Höhe nach links des breiten Kamins durchzieht. Anfangs steilrinnenförmig, wird die Einfurchung zunehmend rissartiger, hängt stellenweise über und verengt sich an ihrem Auslauf zu einem handbreiten Spalt. Für diese problematische Stelle gedacht, hatten wir uns für alle Fälle aus Latschenstrünken drei Keile grob zurechtgehackt. Mit etwas schlechtem Gewissen, wegen “unfairer Mittel”.

MIT LATSCHEN-“KLEMMKEILEN”

Wir sind beim Einstieg. Als Rissspezialisten trifft es gemäß unserer Gepflogenheit mich zum Führen. Die Schwierigkeit steigert sich. Vor allem ein beachtlicher Überhang hat es in sich. Ich kann mich bei abschüssigen Tritten nicht auf die starre, abgleitende Ledersohle meiner unmöglichen Beschuhung verlassen und muss mich auf die ungewohnte Technik des anstrengenden Sich-Hinaufziehens umstellen. Was mir die Überwindung dieser Stelle wesentlich erschwert, sodass ich sie als schon nahe dem VI. Grad empfinde. Dann eine Nische als Standplatz. Ich schlag einen Haken, Sepp kommt nach. Noch immer will ich eigensinnig trotz der Patschenmisere vorausklettern, verwinkle die Arme und Fäuste in der schmalen Kluft, zwänge einen Fuß in sie hinein und versuche mehrmals, mich daran hochzudrücken. Aber die steife, nicht haftende Ledersohle gleitet jedes Mal am glatten Fels ab.

Hias Rebitsch - Ziereiner See mit Rofanspitze

Ziereiner See mit Rofanspitze-Hauptgipfel-Ostwand; der Sepp-Spiegl-Risss verläuft an der Pfeilerwand links in der Bildmitte – Foto: Tyrolia Verlag

Trotz dieser Behinderung den verflixten Riss weiter frei und als Führender meistern zu wollen, dieses Risiko mit der Aussicht auf einen Flug, ist mir schließlich doch zu groß und nicht verantwortbar. Sepp steht ja direkt unter mir. – Den Riss einfach mit einer Reihe von Holzkeilen überlisten? Als passioniertem Freikletterer ist meine Abneigung gegen derartige künstliche Hilfsmittel nun doch zu stark ausgeprägt. Da soll es jetzt besser der Seppl mit seinen gut haftenden, weichen Manchons probieren. Der aber teilt meine alpinistischmoralischen Vorbehalte in keiner Weise. Er fackelt nicht lange – helf jetzt, was helfen mag – und drischt sofort einen unserer drei Latschenkeile so hoch oben wie möglich in den engen Spalt ein, arbeitet sich am eingetriebenen Pflock hinauf, kniet, steht schon auf dieser ersten “Leitersprosse”. Er hämmert den zweiten Latschenstrunk ein, hat sich über ihm voll aufgerichtet. Da bricht, durch sein ganzes Körpergewicht belastet, dieser zweite Keil unter ihm aus, rumpelt herab … Sepp scharrt Halt suchend mit den Füßen im Riss, rutscht ein klein wenig ab. Mit den verklemmten Armen und Fäusten allein findet er nicht mehr ausreichend Reibungswiderstand im Spalt, sein Oberkörper beginnt schon, sich langsam von der Wand zu lösen. Gleich wird er stürzen, unvermeidbar … In der Schrecksekunde jagen einander in meiner erregten Phantasie wilde, dennoch durchaus realistische Horrorbilder des Ablaufes der unabwendbar auf mich zukommenden Katastrophe: Der stämmige Sepp – ein 70-Kilogramm-Brocken – wird mit voller Wucht auf mich herunterplumpsen, genau auf meinen Kopf, mich zusammenstauchen, mir das Genick – die Wirbelsäule? – brechen … Und es gibt kein Ausweichen. Ich bin ja ganz eng an den Standhaken gefesselt, dem nahenden Verhängnis wehrlos ausgeliefert. Ich werde als schwer Angeschlagener den Sturz des Sepp mit meinen noch um den Hanfstrick verkrampften Händen nicht mehr abfangen, nicht einmal bremsen können … Er würde dann die gesamte Seillänge ausfallen und würde, verletzt und vielleicht bewusstlos, tief unter mir an senkrechter Wand baumeln. Wenn das Seil und der Haken überhaupt halten. Und ich würde ihm nicht helfen können … Ich bin wie gelähmt, starre zum Sepp hinauf, erwarte jeden Augenblick seinen fatalen Sturz. In diesem Moment vor dem Hintenüberkippen tappt er noch verzweifelt aufs Geratewohl blitzschnell mit der Rechten hoch hinauf – und bekommt einen soliden Griff. Kaum zu fassen – mehr als ein Zufallstreffer. Er zieht sich daran empor. Gerettet!

Die paar weiteren Meter in leichterem Gelände zum Ausstieg hin bilden kein Hindernis mehr. Die Erstbegehung dieser extremen Rofan-Ostwandführe ist uns geglückt. Wir lachen zwar jetzt, vom Albdruck befreit, über das dramatische Zwischenspiel. Doch selten in meinem Leben war mir der Schreck derart in die Glieder gefahren wie während der schicksalsentscheidenden Sekunden. Er hat sich als seelisches Trauma unverwischbar in mein Gedächtnis eingegraben.

Die Route wurde zum Gedenken an meinen allzu früh verstorbenen Freund und Seilpartner Sepp-Spiegl-Riss benannt.

Hias Rebitsch - Rofanwaende

Hias Rebitsch an den Rofanwänden – Foto: Tyrolia Verlag

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Der Autor:

HORST HOhFLER (geb. 1948 in München) kennt als Allroundbergsteiger viele klassische Routen in den gesamten Alpen. Er verfasste zahlreiche Bergbücher, darunter etliche Werke zur Alpinismusgeschichte (z. B. “Hermann Buhl. Am Rande des Möglichen”). Mathias Rebitsch begegnete er öfter, und unvergessen ist ihm ein langes Interview 1986, während dem Hias nicht nur übers Klettern sprach, sondern Einblick in seine persönliche Philosophie gab.

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“Hias Rebitsch”

Der Berg ist nicht alles

Horst Höfler

264 Seiten, 28 farbige und 61 schwarzweiß Abbildungen,

15 x 22,5cm, gebunden mit Schutzumschlag

ISBN :  978-3-7022-3083-8

 

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Weitere Infos finden Sie hier:

www.tyrolia-verlag.at

Quelle: Tyrolia-Verlag

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