Stefan Glowacz
Stefan Glowacz ist Profibergsteiger und dreifacher Familienvater. Seine innere Überzeugung ermöglicht es ihm, beides mit hundertprozentiger Hingabe zu leben. Es ist die Gewissheit, dass es für ihn nur einen Weg gibt. Dieser führt den 44-Jährigen an unbekannte Orte, auf unbestiegene Gipfel.
Er bringt ihn aber auch wieder nach Hause. Nur die Kombination aus dem Abenteuer in der Ferne und der Sicherheit der Familie macht einen ganzen und glücklichen Menschen aus ihm und damit, so sagt er, einen Vater und Ehemann voller Aufmerksamkeit und Fürsorge. Ein Portrait über einen Mann, dessen Nähe man nur erlebt, wenn man ihn gehen lässt.
“Ich bin ein Egoist“, sagt Stefan Glowacz. Ganz so, als wäre es das Normalste der Welt und als würde der Haltung kein negativer Beigeschmack anhaften. Diese Offenheit zeigt einen Teil der Person, die hinter dem Expeditionsbergsteiger und Abenteurer steht. Es ist ein Mann, der hinterfragt, der sich intensiv mit sich und seinem Umgang mit Mitmenschen auseinander gesetzt hat. Über die Jahre ist er zu einem einfachen Schluss gekommen: “Ich werde mich nicht ändern, für niemanden.“
Jeder Erfolg benötigt Egoismus
Die Erklärung, warum er seinen Egoismus als so selbstverständlich annimmt, ist einfach: Ohne ihn wäre Glowacz nicht dort, wo er heute ist. Er wäre nicht Deutschlands erfolgreichster Wettkampfkletterer, kein namhafter Unternehmer mit der Klettermarke “Red Chili” und kein gefragter Vortragsredner.
Der 44-Jährige ist überzeugt: Jeder Erfolg braucht Egoismus, denn das ist die Basis. Man muss die Fähigkeit haben, sich hundertprozentig auf seine Passion zu fokussieren und “alles, wirklich alles” ausblenden, was vom Ziel abbringen könnte. Glowacz bemüht sich nicht, die Kompromisslosigkeit zu beschönigen, die sein Leben prägt. Diese Eigenschaft räumt er unumwunden ein – und deutet sie positiv: Sie mache ihn berechenbar. Denn er spiele nichts vor. “Entweder, man nimmt mich so, wie ich bin, oder man lässt es sein.” Er hat sich in Entscheidungen nie beeinflussen lassen. Auch damals nicht, als er in seiner “jugendlichen Naivität und Arroganz” dachte, er sei unsterblich und könne das Risiko beim Free-Solo-Klettern ohne Sicherung kalkulieren. Ein Irrtum, wie ihm ein Sturz aus acht Metern Höhe bewies. Nach diesem Unfall hat er das “Spiel mit dem Tod” und damit das Soloklettern beendet.
Grund war eine persönliche Einsicht: “Ich habe noch während des Sturzes erkannt, welch ein Idiot ich bin, dass ich mein Leben, das so wunderschön ist, so fahrlässig aufs Spiel setze.“
Die Rolle der Familie
Die Sorge der Familie spielte keine Rolle. Auch heute hat sie keinen Einfluss auf die Ziele, die er für seine Expeditionen in entlegene Gebiete und auf Felstürme Patagoniens oder Brasiliens auswählt. Wie zwischen Ende Februar und Mitte März dieses Jahres, British Guyana in Südamerika. “Hätte ich immer Rücksicht genommen, wäre ich auf keinen einzigen Berg gestiegen.”
Und doch verfügt die Familie über einen enormen Einfluss. Sie ist es, die über Gelingen und Scheitern der Expeditionen mitentscheidet, den Erfolg sogar bedingt. Denn seine 14-Jährigen Drillinge sowie seine zweite Ehefrau Tanja Valérien-Glowacz sind seine Sicherheit. “Wenn es zu Hause nicht so harmonisch wäre, könnte ich nicht so entspannt wegfahren.” Vielleicht, so überlegt er, könne er dann gar nicht verreisen. Denn die Familie gebe ihm die nötige Kraft und Ruhe – weil er wisse, dass sie hinter ihm steht.
Etwa fünf Monate im Jahr ist Glowacz unterwegs, auf Expeditionen und Vortragsreisen. Er kennt das Klischee der rastlosen und egoistischen Bergsteiger, in deren Leben kein Platz ist für eine Familie – weil man keine Zeit mit ihr verbringt. Ein Vorwurf, der Glowacz nicht interessiert. Denn er ist überzeugt, ein guter Familienvater zu sein – vielleicht sogar besser als andere. Weil er keine Routine kennt und seine Momente mit den Kindern und seiner Frau von einer Intensität geprägt sind, wie sie nur Menschen ohne Alltag erleben können.
Ein Leben zwischen Wiedersehen und Abschied
Routine – ein Wort, auf das der Extremkletterer ungehalten reagiert. Allein der Gedanke an Alltag macht ihn nervös. Dieser mache Tage austauschbar und raube ihnen jede Kreativität. Routine bedeutet für ihn Gleichgültigkeit und Gewöhnlichkeit. Das möchte er nie für seine Familie empfinden. “Niemals werde ich sie für eine Selbstverständlichkeit halten – sie sind ein Geschenk.” Doch erfordere ein Leben zwischen Wiedersehen und Abschied auch viel Disziplin. Die Kinder leben bei der Mutter. Sie sollen jederzeit zu ihm kommen können, wenn er zu Hause ist. Glowacz wohnt darum in Garmisch und nicht bei Ehefrau Tanja, sondern rund 40 Kilometer entfernt. Er pendelt – was die Zweisamkeit noch seltener macht. Ihre Beziehung sei natürlich voller Sehnsüchte, sagt Glowacz. Und geprägt von der Gefahr, aneinander vorbei zu leben. Ganz bewusst nehmen sie sich darum ihre Auszeiten. “Da gibt es auch kein Klettern. Nur uns“, betont Stefan Glowacz.
Dann zieht es Glowacz wieder in die Ferne. Auf Expeditionen, bei denen der Gipfel ebenso zählt wie der Weg dorthin. Die Neugierde treibt ihn an und die Herausforderungen technischer, logistischer, psychischer und konditioneller Art.
Wie sein Leben sein wird, wenn ihn das Alter einmal zum Bleiben zwingt, weiß er nicht. Er und seine Frau haben davon gesprochen, ein altes Haus zu kaufen und umzubauen. Irgendwo. Irgendwann. Vielleicht. “Ich bin gespannt, ob ein Nomade überhaupt sesshaft werden kann“, meint Stefan Glowacz.
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Inhaltsverzeichnis
Lebenslauf:
22.03.1965: Geboren in Bayern.
Beruf:
– Abenteurer, Kletterer, Referent, Unternehmer
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Seine Expeditionen / Unternehmungen / Begehungen:
1994:
Fleischbank (2186m) – Wilder Kaiser, Österreich
Erstbegehung von “Des Kaisers neue Kleider” (X+, 300m) am Fleischbankpfeiler.
Nalumasortoq (2045m) – Tasermiut-Fjord, Grönland
Erstbegehung von “Moby Dick” (IX+, 1000m) an der Westwand des Nalumasortoq mit Kurt Albert und Ben Mastertson.
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1995:
Mount Harrison Smith – Cirque of Unclimbables, Logan Mountain, Kanada
Erstbegehung von “Fitzcarraldo” am Nordpfeiler von Mount Harrion Smith (VIII+, 700m) mit Kurt Albert, Gred Heidorn und Loe Reitzner.
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1996:
Kleine Zinne (2857m) – Drei Zinnen, Sextener Dolomiten, Italien
Erstbegehung in der Südwand “Gelbe Mauer” (IX) mit Kurt Albert.
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1997:
Tupilak – Grönland
Erstbegehung von “Nordlicht” (VIII+) am Tupilak mit Kurt Albert.
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1999:
Cape Renard Tower (747m) – Antarktis
Erstbegehung von “Hart am Wind” (IX, 800m)
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2000:
Expedition nach Vietnam
Polar Bear Spire – Baffin Island, Kanada
Erstbegehung von “Odyssey 2000” (IX, 500m) am Polar Bear Spire mit Kurt Albert, Holger Hember und Gerd Heidorn.
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2001:
Basaseachic Wasserfall National Park – El Gigante, Mexiko
Erstbegehung von “La Conjura de Los Necios” (Conspiracy of Fools) (IX+, 800m) mit Kurt Albert, Hans Martin und Maruisz Hoffman.
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2003:
Cerro Murallón (2656m) – Patagonien, Argentinien
Erstbegehung von “Lost World” (VII, 1100m) mit Robert Jasper, Klaus Fengler und Sebastian Tischler.
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2004:
Titlis (3238m) – Urner Alpen, Schweiz
Erstbegehung von “Letzte Ausfahrt Titlis” (X-, 500m) mit Markus Dorfleitner.
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2005:
Cerro Murallón (2656m) – Patagonien, Argentinien
Erstbegehung von “Vom Winde verweht” (IX, 1100m) mit Robert Jasper.
Expedition nach Venezuela
Tafelberge (IX-)
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2007:
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2008:
The Bastions – Buchan Gulf, Baffin Island, Kanada
“Erstbegehung von “Take the long way home” (X-, 700m) mit Robert Jasper, Holger Heuber, Klaus Fengler und Mariusz Hoffmann.
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2009:
Piedra Riscada (1200m) – Minas Gerais, Brasilien
Erstbegehung von “Place of Happiness” (IX, 800m) mit Holger Heuber und Edemilson Padiha, Horacio Gratton und Klaus Fengler.
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2010:
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Bücher:
On the Rocks: Leben an den Fingerspitzen (von Stefan Glowacz und Ulrich Klenner)
Richtig Freiklettern (von Stefan Glowacz und Wolfgang Pohl)
Filme:
Schrei aus Stein
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Weitere Infos finden Sie hier:
Interview mit Stefan Glowacz nach der Venezuela Expedition 2010
Interview mit Stefan Glowacz (2010)
Artikel zur Venezuela Expedition Herbst 2010
Artikel zur Patagonien Expedition 2009
Quelle: Stefan Glowacz
(letzte Aktualisierung: 24.01.2011)