Interview mit Alexander Huber
(aus dem Jahr 2008)
Wie bist Du zum Klettern/ Bergsteigen gekommen?
Wir haben das Glück gehabt, bergbegeisterte Eltern zu haben. Sie haben es sich nicht nehmen lassen, uns bereits in frühester Kindheit in die Berge zu bringen. Wenn es dann Richtung Extremes ging, also Klettern, dann ist es doch eher unser Vater gewesen, der uns herangeführt hat, weil er seinerzeit ein begeisterter extremer Kletterer war und er ist heute noch voll dabei. Am Anfang war es auch ganz unabhängig vom Thomas, denn unsere Eltern haben uns einfach in die Berge gebracht. Es war sogar so, dass der Thomas anfangs weniger begeistert war als ich, ich bin da eher bereitwillig mitgegangen. Als wir aus den Kinderschuhen raus gewachsen waren, war jedoch sonnenklar, wir waren beide absolut fanatisch sei es in Sachen Skitouren, Bergesteigen, Hochtouren – also Viertausender – bis hin zum Klettern. Damals hatte ich auch einen meiner Schlüsselmomente. Das war die Besteigung meines ersten Viertausenders. Ich war 11 Jahre alt und das war für mich ein ganz besonderer Moment. Es war für mich, bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben, das Abenteuer pur. Wenn man als kleines Kind auf so einem riesigen Berg oben steht, in dieser Ausgesetztheit, in dieser Kälte, in der großen Höhe und inmitten dieser weißen Wüste der Gletscherwelt dann ist das für ein Kind so beeindruckend, dass ich wusste, dieses Abenteuer will ich wieder erleben. Das war so gesehen meine Geburtsstunde zum Klettern und Bergsteigen.
Lief Deine erste Viertausender-Besteigung vollkommen problemlos ab oder gab es damals Herausforderungen, an die Du Dich heute noch erinnern kannst?
Das lief ja alles unter der Anleitung unseres Vaters. Er war unser Mentor und hat uns zu einem Zeitpunkt auf diese großen Berge hinaufgebracht wo wir nie auch nur ansatzweise selbständig hinaufgekommen wären. Mein Vater war für mich eine ganz wichtige Person, weil ich dieses Vertrauen in ihn hatte und auch haben durfte. Das Abenteuer bestand für mich nicht darin, dass ich in diesem Moment schon selbst Entscheidungen treffen musste, ins Unbekannte hineinmarschierte sondern einfach diese gewaltige Dimension der Berge, diese Urwildnis, die man sonst so bei uns in Mitteleuropa nicht hat. Die Alpen stellen ja das letzte große unberührte Gebiet inmitten von Europa dar.
Worauf legst Du heutzutage Deinen Schwerpunkt? Ist es eher das Klettern oder sind es die Hochtouren oder doch eher eine Kombination aus allem?
Thomas und ich sind sehr breit angelegte Bergsteiger. Wir sind keine Kletterspezialisten genauso wenig wie wir Höhenbergsteigspezialisten sind. Das hat einfach auch mit der Geschichte zu tun, wie wir zum Bergsteigen und Klettern gekommen sind. Unser Vater bzw. unsere Eltern haben uns eben zuerst zum Wandern in die Berge gebracht, später ging es dann in Richtung Skitouren, und dann waren wir natürlich ein wenig extrem unterwegs mit den Hochtouren in den Viertausendern. Und dann nach diesen Viertausenderbesteigungen sind wir mit 12 Jahren auf die ersten Klettertouren mitgenommen worden. Und wenn man das aus heutiger Sicht betrachtet, wo es überall Kletteranlagen gibt und schon die Kleinsten an den Sport herangeführt werden, dann war das schon sehr spät. Aber das Klettern war damals einfach nicht so populär und es wäre auch niemand auf die Idee gekommen, Kinder schon frühesten Alter zu trainieren. Aber irgendwo hatte das auch seinen Vorteil. Wir sind nämlich als Bergsteiger aufgewachsen und wurden dann zu Kletterern. Zufällig waren wir dann als Kletterer sehr talentiert. Und diese Symbiose, dass wir eben nicht nur Kletterer sind, sondern auch Bergsteiger mit Erfahrung von A bis Z hat uns halt die Chance gegeben alles das so anzuwenden wir es nur selten vorher gelungen ist, also dass man das schwere Klettern in große Höhen transportiert, dass man an großen alpinen Wänden unterwegs ist, und all dies mit dem hohen Können eines Sportkletterers.
Was löst die Leidenschaft und die Besessenheit aus, mit der ihr Euren Sport betreibt? Was treibt Euch an?
Ich habe ja schon erklärt, was das für ein Gefühl war, als ich meinen ersten Viertausendergipfel erreicht habe, und in gewissem Sinne ist es nach wie vor das gleiche Gefühl, das mich antreibt, gerade wenn wir in Richtung größere Berge gehen, sei es in Patagonien, im Karakorum oder Himalaya aber auch bei uns in den Alpen am Mont Blanc, das ist einfach diese Abenteuerkomponente, ins Ungewisse hineinzumarschieren, wo man nicht alles hundertprozentig vorkalkulieren kann, was den Reiz ausmacht. Sicher ist es wichtig, dass man seinen Plan hat, damit man nicht völlig planlos losstolpert, aber man muss auch immer flexibel sein und man muss auch immer bereit sein, die Bedingungen so zu akzeptieren, wie sie sind. Es gibt auch gerade wenn man besonders anspruchsvolle Projekte angeht auch nie den hundertprozentigen Gewinn. Mann kann nicht zu hundert Prozent Erfolg haben. Und diese gewisse Ungewissheit ist auch das Salz in der Suppe, das ist die Essenz, das erzeugt diesen Unterdruck in der Magengegend, der einen wieder so richtig fühlen lässt, dass man lebt.
Ihr seid beide in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen. Du bist noch nicht verheiratet und hast keine Kinder, Thomas hat Familie. Hat sich Dein Bruder dadurch, dass er Verantwortung für Frau und Kinder hat irgendwie verändert? Geht er Projekte anders an als früher?
Ich würde sagen, dass sich dadurch gar nichts verändert hat. Wenn der Thomas draußen am Berg ist, dann geht es einfach um das Bergsteigen selbst. Natürlich weiß der Thomas auch, dass er eine gewisse Verantwortung hat, aber gerade wenn es um Risiko geht, dann ist es ja letztendlich so dass wir zu allererst immer noch selbst überleben wollen. Und bei mir ist dieser Lebenswille nicht schwächer als beim Thomas. Ich setze mein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel, bloß weil ich weiß, dass ich jetzt keine Kinder hab. Sicherlich ist es bei uns Bergsteigern so, dass wir durch den Einsatz unseres Lebens etwas besonders erreichen, je mehr wir einsetzen, umso mehr kommt hinten raus. Wenn man sein Leben einsetzt, kann man sich sicher sein, dass die Erfahrung sehr intensiv ist. Aber deswegen sind wir keine Hasardeure. Gerade beim Bergsteigen ist die Gefahr so omnipräsent, dass kein Hasardeur weit kommen würde.
Hattest oder hast Du in Deinem Sport ein Vorbild?
Ich hatte sicherlich Vorbilder, die ich auch heute noch habe. Wenn man zu den prägenden Gestalten im Alpinismus und Bergsteigen kommt dann ist das aus meiner Erinnerung sicher ein Hermann Buhl, Reinhold Messner gehört dazu, den ich dann tatsächlich auch selbst erleben konnte, und zwar war das 1986 als er gerade seine ganzen Achttausender bestiegen hatte und seine Welttournee gestartet hatte, da habe ich damals live einen Vortrag sehen können und das war für mich schon beeindruckend. Messner mag zwar eine unglaublich polarisierende Gestalt sein, aber er hat auch ein unglaubliches Charisma und eine unheimlich interessante Art, Dinge zu erzählen, zu schildern und das hat mich damals schon sehr ergriffen. Eine andere Person, die ich sehr gerne kennen gelernt hätte, ist der Reinhard Karl, der damit bekannt wurde, dass er 1978 als erster Deutscher den Everest erreicht hatte und der in gewissem Sinne auch das verkörpert, was mich heute als Bergsteiger prägt, weil Reinhard Karl kein Spezialist war, als Höhenbergsteiger zum Beispiel oder als reiner Kletterer, sondern der einfach auf allen Gebieten des Bergsteigens unterwegs war. Er war sowohl Kletterer als auch in den Wänden des Yosemite, Patagonien oder im Himalaya zu finden. Diese Polyvalenz, die man da so als Bergsteiger hat, macht es natürlich einerseits sportlich interessant und andererseits gibt es auch ein unheimlich facettenreiches Erleben von dem was Bergsteigen zu bieten hat.
Dann gab es auch noch einen sehr bekannt deutschen Sportkletterer, der ein großes Vorbild von mir war und eine absolute Koryphäe im Klettersport, der Wolfgang Güllich, der leider 1992 bei einem Autounfall gestorben ist. Der hat mich in Sachen Sportklettern mit seiner Auseinandersetzung mit dem Sport, was der Sport bedeutet und mit der ethischen Dimension des Sportkletterns sicher stark geprägt.
Wir haben jetzt über Deine Kindheit gesprochen, Eure aktuellen Projekte sind ebenfalls in aller Munde. Was ist in den Jahren dazwischen passiert? Hat das Bergsteigen und die Liebe zur Natur beispielsweise auch Einfluss auf Deinen beruflichen Werdegang gehabt? Du hast ja Physik studiert.
Als Thomas und ich im Alter von 12, 13 Jahren mit dem Klettern begonnen haben, hat uns das total fasziniert. Wir waren beide völlig begeistert und vollkommen fanatisch, so wie man halt nur als Jugendlicher sein kann, wenn man sich für einen Sport begeistert. Das hat natürlich eine Steigerung der Kletterleistung mit sich gebracht und wir wollten uns auch permanent pushen in diese Richtung. Es war eine unheimlich geile Zeit so als junger Stürmer und Dränger einfach Vollgas zu geben, das Bergsteigen und sein eigenes Können auszuloten, und das was man psychisch zu leisten in der Lage ist. Uns ist auch nicht annähernd in den Sinn gekommen, diesen Sport jemals professionell auszuüben. Wir haben einfach versucht, es so gut wie möglich zu machen, um ein besonderes Erlebnis mit nach Hause zu bringen. Es macht schon einen Unterschied, ob man an seine Grenzen geht oder nicht. Das Erlebnis ist viel intensiver, wenn du deine Grenzen auslotest.
Irgendwann war ich dann mit der Schule fertig und habe meinen Zivildienst als Rettungsassistent gemacht. Da habe ich dann feststellen müssen, dass mein erstes angestrebtes Ziel, nämlich Medizin zu studieren vielleicht doch nicht das richtige für mich ist. Daher habe ich mich dann für mein Naturtalent entschieden und das sind die Naturwissenschaften, vor allem die Physik. Ich habe also Physik studiert und mein Studium sehr zielgerichtet verfolgt – nach dem Minimum-Maximum-Prinzip, also minimaler Aufwand, maximaler Erfolg. Es war für mich auch ganz wichtig, dass ich das Physikstudium so gut wie möglich abschließe – was mir auch gelungen ist, auf meinem Physikdiplom steht sehr gut – denn mein Abschluss in dieser Qualität hat mir ermöglicht, das auszuprobieren, was ich heute mache. Ich habe direkt im Anschluss an mein Studium als ich mein Diplom in den Händen hielt, nicht angefangen, Bewerbungen zu schreiben, sondern habe mich 1997 selbst in Richtung Berge los geschickt und mit Thomas eine Expedition in den Himalaya gemacht. Wir haben einen fantastischen Erfolg mit nach Hause gebracht, der uns auf der internationalen Bühne noch weiter verankert und bekannt gemacht hat. Wir wurden auf einmal ganz anders wahrgenommen. Bis dahin waren wir eher bekannt als die Kletterer, sei es zu Hause in den Alpen oder im Yosemite Valley, aber dass wir tatsächlich auch in den ganz großen Bergen der Welt Erfolg haben können, das haben viele erst gar nicht begreifen können, weil sie ja den Hintergrund nicht kannten, wo wir eigentlich herkommen. Für viele waren wir immer die Kletterspezialisten, aber dass wir tatsächlich auch als Bergsteiger im hochalpinen Gelände aufgewachsen sind, das war halt bis dahin nicht bekannt. Danach gab ich mir zwei Jahre Zeit, als Bergsteiger professionell Fuß zu fassen. Das wichtigste für mich in diesem Zusammenhang war, dass ich den Reinhold Messner 1986 live erleben konnte, wie er die Vorträge hält, und ich habe eigentlich ziemlich schnell kapiert, dass das die Grundlage eines Bergsteigers ist, um von seiner Passion leben. Ich trenne auch das Bergsteigen ganz strikt von meinem Beruf. Bergsteigen ist nach wie vor meine Passion, meine Leidenschaft, die mir gleichzeitig die Basis bietet, um meinen Beruf auszuüben. Und mein Beruf ist schlicht und einfach meine Erlebnisse in der Bergwelt an die Ohffentlichkeit zu bringen, durch Schreiben von Artikeln, Veröffentlichen von Büchern und vor allem durch Vorträge.
Wie viel Zeit verbringst Du effektiv pro Tag oder pro Woche draußen am Berg?
Das hängt davon ab, ob ich gerade auf Vortragstour bin. In den Monaten März/ April, wo ich 60 Vorträge gehalten habe, war ich natürlich hauptsächlich in den Städten Europas unterwegs. Da kommt man natürlich selten dazu, draußen zu trainieren. Aber da hat man ja heutzutage die Möglichkeit, in Hallen zu gehen, weil mittlerweile jede große Stadt Kletterhallen hat. Dann ist es natürlich ein reines Trainieren, was typischerweise bei uns vier Stunden am Tag ausmacht. Wenn ich klettern gehe oder Zeit zum Klettern habe, weil ich gerade nicht auf Vortragstour bin, ist es tatsächlich so, dass wir fünf Tage die Woche am Klettern sind und wenn man beim Klettern ausrückt, ist man meistens den ganzen Tag unterwegs. Wenn ich Klettern und Bergsteigen als meinen Beruf auffassen würde, dann würde das ja bedeuten, dass ich endlos viel arbeite. Aber wir fassen das ja nicht als unseren Beruf im direkten Sinne auf sondern nach wie vor als unsere Leidenschaft. Von daher haben wir wirklich diesen Traum verwirklicht, unsere Leidenschaft mit unserem Beruf zu verbinden.
Tretet Ihr bei Euren Vorträgen zusammen auf?
Nein, wir treten eigentlich prinzipiell getrennt auf. Es ist auch gut so, weil wir einen sehr unterschiedlichen Vortragsstil haben. Wir sind beide als Vortragsredner recht erfolgreich oder beliebt und trotzdem unterscheiden wir uns. Vorzutragen ist etwas ganz persönliches. Man kann auch keinen Referenten kopieren. Ich habe mir im Laufe der Zeit alle bekannten Referenten angeschaut. Man versucht sich zwar Anregungen zu holen, aber ich kann eins garantieren: man kann es vergessen, einen Referenten zu kopieren. Du musst du selbst sein. Und nur dann kommt’s authentisch und richtig rüber.
Was würdest Du machen, wenn Du aus irgendeinem Grund von heut auf morgen nicht mehr klettern könntest?
Das kann ich nicht sagen. Ich will mich auch mit so einer Situation gar nicht auseinander setzen. Wenn die Situation kommt, werde ich mir ohnehin Gedanken machen müssen und alles das, was ich bereits im Voraus hätte berechnen wollen, wird dann völlig ungültig sein, weil die Situation so was von neu ist.
Wie setzt Du Dich mit dem Thema Lebensgefahr auseinander? Versucht Du das eher auszublenden? Du sagst ja selbst, dass die Gefahr sei beim Bergsteigen omnipräsent ist.
Die Gefahr ist beim Bergsteigen prinzipiell omnipräsent und das Wahrnehmen der Gefahr, das Angst in uns auslöst ist ein ganz wichtiges Regulativ. Man kann wirklich sagen, Angst ist überlebensnotwendig, aber nicht nur beim Bergsteigen selbst sondern immer dann, wenn man mit Gefahren zu tun hat. Auch die Straße hier hat mit Gefahr zu tun. Natürlich hat jeder Mensch Angst davor, wenn er über die Straße geht, sein Leben zu verlieren. Was nicht unbedingt heißt, dass man deswegen nervös wird. Als erwachsener Mensch kennt man die Gefahren des Straßenverkehrs, man nimmt die Gefahr wahr, man weiß aber auch wenn man der Gefahr adäquat begegnet, dass man nicht sein Leben verliert. Der Erwachsene konzentriert sich für einen kurzen Moment, schaut nach links und rechts, sieht es kommt kein Auto und geht über die Straße. Ganz anders ist das unschuldige Kleinkind, das die Gefahr des Straßenverkehrs noch nicht erkennt. Da kann es passieren, dass es einfach über die Straße rennt und tödlich überfahren wird. Das ist in etwa der völlig hirnlose, nicht erfahrene, der sich in der Bergwelt bewegt, der vielleicht in diesem Moment gar nicht versteht, dass er sich in einer Gefahrensituation bewegt, und von einem auf den anderen Moment verliert er sein Leben. Klar hatte der in diesem Moment keine Angst, weil er die Gefahr nicht einmal wahrnehmen konnte, aber er hat dann auch die negativen Folgen zu tragen. Ein typisches Beispiel ist in der Bergwelt die Lawinengefahr, wo zum Beispiel über Skilifte Leute in die wilde Bergwelt transportiert werden, die keinen Plan haben, wie gefährlich die Lawinen wirklich sind, die sehen nur einen geilen Pulverschneehang und stürzen sich runter. Wenn sie Glück haben, sind sie völlig sorglos den Hang runter gerauscht und wenn sie Pech haben, geht eine Lawine ab und sie sind tot.
Das Wahrnehmen der Gefahr, diese Angst ist meiner Meinung nach ein essentieller Bestandteil des Bergsteigens. Wir gehen schon sehr bewusst damit um, dass wir uns in Gefahr begeben. Wenn wir das höchste Gut, das wir als Menschen haben, nämlich das Leben, einsetzen, dann kann ich auch ganz sicher sein, dass es ein sehr intensives Leben wird. Allerdings bedeutet das Einsetzen des Lebens nicht, dass wir unser Leben hinwerfen. Gerade weil ich das Leben liebe, setze ich mein Leben ein, um Intensives zu erleben. Trotzdem werde ich aber immer mein Leben mit Händen und Füßen verteidigen.
Hast Du dieses Bewusstsein der Gefahr schon als Kind von Deinen Eltern mitbekommen oder hat sich das erst im Laufe der Jahre aufgrund von Erfahrungen entwickelt?
Unser Vater war in dieser Hinsicht sicherlich unser Mentor, der uns schon in jungen Jahren unsere Guidelines gegeben hat. Aber natürlich haben wir das weiter ausgebaut. Das liegt ja in der Natur der Sache. Ein Mentor kann immer nur die Initiierung geben, ich kann meinem Kind ja auch nicht alles beibringen, was ich selbst gelernt habe, man kann immer nur die Grundlagen legen und dann liegt es an jedem selbst sein Leben zu gestalten. Das war bei uns genauso.
Wie sieht Euer Vater Eure Karriere – er hatte ja sicher nicht mit einem solchen Werdegang gerechnet.
Unser Vater ist ein so begeisterter Vollgasbergsteiger, wenn es damals die Möglichkeiten gegeben hätte, er hätte es genauso gemacht. Er ist auch ein recht talentierter Bergsteiger, aber er hatte natürlich von den Rahmenbedingungen her nicht die Möglichkeit gehabt, über den kleinen Horizont von zu Hause aus raus zu kommen. Und er für seinen Maßstab macht das auch nicht anders. Er hat noch genauso seine Ziele, die auch Grenzgänge für ihn bedeuten wie für uns. Mein Vater war eigentlich Landwirt, hat aber irgendwann auch seine Leidenschaft zum Beruf gemacht und arbeitet bis heute als Bergführer. Und solange er noch auf zwei Füßen unterwegs ist, wird er diesen Beruf auch ausüben, weil es ihm soviel Spaß macht. Er ist jetzt mittlerweile 69 Jahre alt. Ich würde mich freuen, wenn es mir vergönnt wäre, im Alter noch so gesund und robust zu sein, dass man noch derart begeistert unterwegs sein kann.
Wie würdest Du Dich selber beschreiben? Als Abenteurer oder Extremsportler?
Das trifft sicher beides zu. Ich habe schon immer alles gemacht, was irgendwie spannend war – Skifahren, Gleitschirmfliegen und so weiter. Abenteurer ist vielleicht etwas übertrieben, denn das verbindet man ja immer mit dem weißen Flecken auf der Erde, aber die gibt es heute ja nicht mehr. Aber ich liebe die spannenden Momente draußen. Ich bin ganz klar ein Outdoorsportler. Sportlich war ich immer schon ehrgeizig, es macht mir einfach Spaß an meine Grenzen zu gehen, und wenn das draußen machbar ist, dann ist es umso besser. Deshalb ist für mich Bergsteigen der Traum.
Nach welchen Kriterien wählt Ihr Eure Projekte aus?
Alles was in uns ein Bauchkribbeln auslöst. Wenn Du ein gewisses Vakuum in der Bauchgegend spürst und weißt, das möchte ich einfach machen. Wenn man Dinge machen will, die einen voll fordern, dann kann man die nur durchziehen, wenn man die Begeisterung dafür in sich trägt. Als Profibergsteiger wird man ja gerne gefragt, ob man das jetzt alles nur wegen der Publicity macht. Ich kann nur sagen, wenn man bei der Free Solo Begehung der Diritissima an der großen Zinne Nordwand unterhalb vor einer 500 Meter hohen senkrechten und leicht überhängenden Dolomitenmauer steht, da kann man anbieten, was man will. Entweder man will das aus Eigenantrieb machen oder man lässt es. Ich glaube man kann keinen mit keinem Mittel der Welt dazu bringen, dass er gegen seinen Willen und ohne eigene Begeisterung da rauf klettert.
Was war bisher Dein schwierigstes Projekt oder steht das gerade unmittelbar bevor?
Das kann man so nicht sagen. Es gibt schon markante Eckpunkte in meinem Leben, aber die Projekte sind aufgrund ihrer Verschiedenartigkeit auch in der Wahrnehmung so verschieden, dass ich nicht sagen kann das oder das war es. Rein sportlich, das Sportklettern im 11. Grad, was damals die absolute Grenze des Möglichen war – ich habe Anfang bis Mitte der Neunziger die bisher schwierigsten Sportkletterrouten der Welt eröffnet. Aber das hat natürlich keine Abenteuerkomponente. Es hat mich unheimlich viel Energie gekostet, da habe ich alles eingesetzt, damit ich so weit komme. Ein weiteres großes Erlebnis war, als ich im Yosemite Park die Salathe Wall frei geklettert habe und damit internationales Ansehen gewann. Das war zwar weder das schwierigste noch das außergewöhnlichste, was ich bisher gemacht habe, aber es war ein Meilenstein – so wie der erste große Turniersieg für einen Tennisspieler. Das war vielleicht noch nicht Wimbledon sondern nur die Australian Open, aber das kann trotzdem genauso intensiv gewesen sein wie Wimbledon zu gewinnen.
Und dann war das mit Sicherheit 1997 die Expedition zum Latok II im Karakorum direkt nach dem Studium. Und dann zähle ich auch noch die Free Solo Durchsteigung von der Diretissima an der Großen Zinne dazu. Und dann hätten wir halt noch das Speed Klettern – Am Limit. Und das sind alles so verschiedene Dinge. Große Berge, Große Zinnen Nordwand ohne Sicherung raufklettern, Speed Klettern, oder Big Walls frei klettern im Yosemite, Sportklettern im 11. Grad, dass ich nicht sagen kann das oder das oder das war das schwierigste. Das wunderbare am Bergsteigen ist wirklich, dass es so facettenreich ist wir nur irgendwas.
Was muss man mitbringen, um als Bergsteiger und Kletterer erfolgreich zu sein?
Ich habe es ja schon ein paar Mal angesprochen, man braucht richtige Leidenschaft. Das ist das Entscheidende. Alle anderen Dinge kommen letztendlich mit dieser Leidenschaft mit, sei es Ausdauer, Motivation, Können. Das war speziell fürs Bergsteigen charakteristisch ist und was man sonst im Sport eher selten findet ist die Kreativität. Die Bergwelt ist vielseitig, Berge sind grundverschieden und was man an diesen verschiedenen Wänden auf welche Arten machen kann, das erfordert halt eine gewisse Kreativität. Herausragende Bergsteigerpersönlichkeiten haben immer das Bergsteigen geprägt weniger durch ihre unglaublich außergewöhnliche Leistungsfähigkeit sondern vor allem durch ihre Visionen und Kreativität. Wenn man jetzt wieder auf bekannte Personen zurückgreift: Reinhold Messner war sicherlich nicht der stärkste Bergsteiger seinerzeit, aber er war ein Visionär und er hat die Dinge einfach als erster probiert und gemacht. Danach hat es immer Leute gegeben, die das schneller oder besser gemacht haben als er, aber wer war der erste? Messner war der Pionier. Und die Pionierleistung ist zur Zeit einfach noch die wichtigste -das mag in 100 Jahren anders sein, denn dann wird es nicht mehr viel zu erforschen geben beim Bergsteigen. Ich verstehe Thomas und mich auch als absolute Pioniere im Bergsteigen. Als wir noch keine Berufsbergsteiger waren, wurde schon gefragt, was will man denn nach Messner noch alles machen? Alle Berge sind bestiegen, die höchsten Berge sind bestiegen, die hat der Reinold Messner auch noch alle hintereinander geschafft, aber man sieht ja, dass wir in gewissem Sinne eine neue Form des Bergsteigens kreiert haben, die nichts damit zu tun hat, was die Generation vor uns gemacht hat. So gesehen hat sich die neue Generation ein ganz eigenes Profil geschaffen.
Was sind Deine Stärken?
Leidenschaft und Kreativität. Wir gehören sichern zu den kreativsten Geistern. Das sieht man auch in der Varianz der Geschichten, die wir machen.
Und Deine Schwächen?
Wenn ich ehrlich bin – wir waren nie die stärksten, rein von den körperlichen Voraussetzungen. Ich war immer schon eher ein Schwergewicht, was nicht so ideal ist fürs Bergsteigen. Aber Gott sei Dank kommt es beim Bergsteigen ja nicht nur auf die pure Kraft an, sondern es ist immer noch mehr eine Sache der Technik und der Beweglichkeit. Und hier zitiere ich auch gerne Wolfgang Güllich, der immer gesagt hat das Gehirn sei der stärkste Muskel des Kletterers. Ich würde das auch auf das Bergsteigen beziehen.
Wie lange denkst Du kannst Du Deinen Sport noch in diesem extremen Ausmaß betreiben?
Es ist ja kein Geheimnis, dass man mit 39 Jahren nicht am Beginn seiner Karriere steht. Wir haben tatsächlich das Glück gehabt, als wir jünger waren das Sportklettern, wo es vor allem um die Leistungsfähigkeit der Muskeln geht, mit Vollgas betrieben zu haben. Ich war noch nie der Stärkste, wenn es darum ging, kleine Griffe zu halten, aber es ist ja zum Glück auch immer noch eine koordinative und mentale Angelegenheit, so dass man schon einiges rausholen kann. Das ist wie beim Wettkampf im Turnen. Du kannst Trainingsweltmeister sein und alle Elemente perfekt beherrschen, aber du musst immer noch mental so stark sein, die Kür beim Wettkampf ohne Fehler durchzuturnen. Auch das zählt der starke Kopf. Später haben wir ja dann schon allmählich das Metier gewechselt, 1997 mit der ersten Expedition. Wir wissen, dass wir im Sportklettern schon lang nicht mehr die Nummer Eins sein können, da haben wir keine Chance vorne mit dabei zu sein, dafür sind wir wirklich zu alt. Aber es gibt eben so Disziplinen wie das Speed Klettern in der Nose, da ist man fast drei Stunden unterwegs, das ist eine Ausdauerdisziplin, und man kennt das ja vom Marathonlauf. Ich erinnere nur an Rosa Mota, die mit 43 Jahren noch Olympiasiegerin geworden ist. Und bei Expeditionen ist halt oft der 45jährige Haudegen im Vorteil, weil er über diese gewaltige Erfahrung verfügt. Er mag vielleicht nicht konditionell und kraftmäßig der stärkste sein, aber er kann vieles durch Erfahrung ausgleichen. Deshalb sehe ich mich noch nicht am Ende meiner Bergsteigerkarriere.
Bitte vervollständige mir zum Abschluss folgende Sätze:
Natur ist für mich … mein Zuhause.
Jemand der meine Gefühle beim Klettern genau nachempfinden kann ist … mein Vater und mein Bruder.
Mein wichtigstes Ziel in den nächsten fünf Jahren ist … das Leben so auf die Reihe zu bekommen, dass ich hinterher sage, es war der richtige Weg.
Meine zweite große Leidenschaft neben dem Bergsteigen ist … mein Zuhause, meine Familie, mein Freundeskreis.
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Interview: Sonja Güldner-Hamel