Interview mit Thomas Huber
(aus dem Jahr 2008)
Wie bist Du zum Bergsteigen und Klettern gekommen?
Daran ist eigentlich unser Elternhaus schuld. Unsere Eltern sind begeisterte Bergsteiger, vor allem unser Vater. Man möchte als Kind ja immer das machen, was die Eltern machen. Unser Vater ist jedes Wochenende in die Berge gegangen und da wollten wir genauso hin. Wir haben gemeinsam die ersten Wanderurlaube gemacht, dann sind wir auch zum Klettern gegangen und das größte Idol für einen jungen Burschen – ich sehe das jetzt auch bei meinen beiden Söhnen – das ist einfach der Papa. Alles was der Papa macht ist toll. Er ist einfach der Beste. Und für uns war das genauso. Wir wollten so werden wie unser Vater. Deswegen sind wir Bergsteiger geworden.
… und habt Euren Vater überflügelt …
Sicherlich haben wir unseren Vater inzwischen vom Können her überholt. Er war in einer anderen Zeit unterwegs, da waren die Trainingsmethoden noch ganz anders beziehungsweise das Material. Wir haben von unserem Vater gelernt, sind in seine Fußstapfen getreten und in die von anderen Kletterern, wie Wolfgang Güllich, und heut tritt die neue Generation in unsere Fußstapfen und ich muss sagen, heute zähle ich mich nicht mehr zu den Spitzenkletterern. Wenn Du liest wie der Tscheche Adam Ondra eine 9a nach der anderen zieht und die gesamte Kletterwelt in den Schatten stellt, dann muss ich sagen, das sind momentan die Aushängeschilder des reinen Klettersports. Aber was uns ausmacht, ist das wir immer neue Träume und neue Ziele haben und Dinge machen, die vor uns noch keiner gemacht hat.
Wie würdest Du Dich und das was Du machst denn selber beschreiben? Bist Du ein Abenteuer suchender Extrembergsteiger?
Abenteuer suchender Extrembergsteiger trifft es schon ganz gut. Einer der immer auf der Suche ist, die Ideallinie zu finden, ein Träumer, Fantast, und manchmal auch ein wenig unrealistisch. Aber genau das Unrealistische macht das ganze wieder so spannend, weil man versucht, Dinge zu realisieren, die jenseits der bekannten Grenzen liegen. Wenn man im Vorfeld weiß, das Projekt wird gelingen, dann ist es schon wieder langweilig. Ich möchte mich Herausforderungen stellen. Die Ungewissheit muss da sein, sonst interessiert es mich gar nicht. Und dann bin ich einfach ein Träumer, der immer überlegt, wie kann ich etwas noch perfekter machen.
Aber wenn Du eine Herausforderung bewältigt hast, dann würdest Du die Sache nicht noch einmal wiederholen, um sie perfekter zu machen, oder doch?
Das kann schon passieren. Wenn ich weiß, dass ich es noch besser und noch perfekter machen kann, dann kann es locker sein, dass ich irgendwann noch mal hingehe und es wiederhole. Ich bin in der Hinsicht ein Ästhet. Ich möchte es schön haben. Genauso wie meine Vorträge. Ich bin nicht zufrieden mit einem Vortrag, der gut läuft und bei den Menschen gut ankommt. Ich stelle bei jedem zweiten Vortrag etwas um, weil ich immer wieder merke, dass ich an einer Stelle die Pointen noch besser ausbauen kann. Also programmiere ich um und es läuft noch geschmeidiger. Und beim Klettern geht mir das genauso.
Wann ist Dir bewusst geworden, dass Klettern nicht nur eine private Leidenschaft ist, sonder dass dies tatsächlich Dein Beruf werden könnte?
Erst sehr spät. Ich bin da automatisch hineingeschlittert, dadurch dass wir 1997 gemeinsam auf Expedition gegangen sind, diese Expedition ein Erfolg war und wir nach dieser Expedition Vorträge in ganz Deutschland gehalten haben. Die Vorträge sind sehr gut angekommen. Wir haben dann gemerkt, wir können die Leute faszinieren. Und wir haben gemerkt, dass es schöner ist, mit dem Hobby Geld zu verdienen als einen ehrlichen Beruf auszuüben. Ich habe Sport und BWL auf Lehramt Gymnasium studiert aber abgebrochen – da bin ich anders als mein Bruder (lacht). Wir haben dann gelernt, die Vorträge immer besser und perfekter zu gestalten, so dass immer mehr Leute gekommen sind und mittlerweile ist das eine unserer Haupterwerbsquellen: Vorträge fürs Publikum und Vorträge in der Industrie, bei Wirtschaftsunternehmen in sämtlichen Sparten.
Handelt es sich dabei um Vorträge darüber, wie man sich große Ziele steckt und diese auch erreicht? Da lässt sich ja sicher einiges von Euren Erfahrungen ableiten.
Da geht es, um es ganz banal auszudrücken, um Motivationsvorträge. Das ist allerdings ein ganz grober Rahmen. Es geht da um Risikomanagement, neue Wege gehen, Ziele erreichen, Visionen haben, und den Mut zu haben, Visionen in Realität umzusetzen. Darum, dass eine Niederlage eigentlich als Chance gewertet werden kann und soll, um zum eigentlichen großen Erfolg zu gelangen. Viele sehen eine Niederlage nur als Niederlage, fallen in eine Depression und eine Firma muss Insolvenz anmelden oder Leute entlassen. Aber wenn man eine Niederlage auch positiv bewerten kann, dann zeugt das von Stärke und es geht viel schneller nach oben. Das sind alles Aspekte, die mir in meinem Leben passiert sind. Mein Leben dreht sich halt ums Bergsteigen, und die Analogien kommen sehr gut an. Ich nehme diese ganzen Manager und Betriebsräte auch mit in die Berge und lass sie praktisch selber das Bergsteigen und das Abenteuer erleben. Am Anfang belächeln sie die ganze Sache, am Ende gehen sie mit schweißnassen Fingern raus und wissen gar nicht, dass ich ihnen die Analogie Berg und Beruf vermittelt hab, weil sie dann so in dieser Bergsteigermaterie drin waren, und dann wachen sie auf und merken plötzlich wie motiviert sie sind und sagen sich “šhey wir ziehen das jetzt durch, wir sind ein Team und wir glauben an uns’ und deswegen funktioniert’s.
Und was motiviert Dich und treibt Dich an? Ist es die Leidenschaft, mit der Du den Sport betreibst?
Warum tut man etwas? Das ist eigentlich die am häufigsten gestellte Frage. Warum gehst Du dieses Risiko ein? Warum hast Du diese Todessehnsucht, wie es von außen manchmal bewertet wird. Ich habe lange gebraucht, bis ich die Antwort auf diese Frage gefunden habe. Meistens ist ja das banalste auch am nahe liegendsten und es ist wirklich so. Es ist die Leidenschaft, die mich antreibt. Es ist die Leidenschaft, körperlich an die absoluten Grenzen zu gehen. Und die Leidenschaft, über diesen Weg immer wieder nach Hause zu finden. Die zentrale Rolle hat sich bei mir jetzt natürlich verlagert. Ich bin verheiratet, habe drei wunderbare Kinder und manch einer hat mich schon schwer kritisiert, dass ich so gefährliche Dinge mache wo ich doch die Verantwortung für drei Kinder habe. Ich stehe zu hundert Prozent hinter dieser Verantwortung, weil ich weiß, dass ich bei der Aktion sterben kann. Nur jemand der weiß, was passieren kann, setzt sich mit der Materie bewusst und intensiv auseinander und ist dadurch auf der sicheren Seite. Jemand der sagt, mir kann sowieso nichts passieren oder über die Straße geht, ohne nach rechts und links zu schauen, wird sicher überfahren.
Hattest Du oder hast Du Vorbilder? Du hast vorhin Wolfgang Güllich erwähnt …
Ja, Wolfgang Güllich gehört dazu. Die Geschichten, die mich gefesselt haben, waren die von Reinhard Karl und Yosemite Valley. Das war unser großer Traum der uns als Kletterer ziemlich geprägt und auch motiviert hat. Da sind wir schon wieder bei dem Thema, warum sind wir überhaupt so weit gekommen? Aufgrund dieser Motivation, die eben aus der Leidenschaft großes zu tun, große Wände zu durchsteigen entsteht.
Es ist zwar schon kurz angeklungen, aber wie setzt Du Dich mit dem Thema Lebensgefahr auseinander, vor allem heute, wo Du Frau und Kinder hast? Sicherlich bist Du Dir der Gefahren, die der Sport mit sich bringt bewusst. Aber wie reagiert Deine Familie darauf, dass Du Dich in Gefahr begibst? Musst Du Deine Ziele und Projekte der Familie erst “intern verkaufen”, damit sie Dich ziehen lassen?
Ja, das muss ich verkaufen, ganz klar. Es ist für meine Familie immer noch sehr schwierig und hart zu verstehen, warum ich zum Base Jumpen gehe, warum ich vom Felsen springe mit einem Fallschirm, wo immer wieder Menschen sterben, auch gute Springer. Und ich muss das immer wieder vermitteln und verkaufen, dass das was ich tue eigentlich sicher ist, aber was ist sicher im Leben. Ich versuche das zu Hause so zu vermitteln, dass ich ein sehr gewissenhafter Mensch bin am Berg – daheim bin ich es nicht, da bin ich ein Vollchaot – aber am Berg bin ich’s. Ich weiß immer was ich tue, ich dreh auch um voller Stolz, dass ich auch diesen Mut habe, nein zu sagen, und das beruhigt dann meine Frau. Und meine Kinder wissen das alles noch nicht. Die bekommen zwar alles mit, was ich mache, aber sie sind sich des Risikos, dem ich mich hin und wieder aussetze, nicht so bewusst. Es ist ja auch eine Gradwanderung, speziell wenn man Familie hat. Da hat es der Alexander einfach. Er sagt zwar immer, er muss sich vor der Mama verantworten, aber meine Eltern haben mir nichts mehr zu sagen. Ich stehe jetzt im Leben, ich bin abgekapselt und habe meine eigene Familie.
Nach welchen Kriterien wählst Du Deine Projekte aus? Was macht eine Sache für Dich so interessant, dass sie Deine Leidenschaft entfacht oder ein Kribbeln im Bauch auslöst?
Etwas zu tun, was vor mir noch keiner getan hat. Einen neuen Weg zu gehen. Ich bin kein Nachgeher.
Was war Dein bisher schwierigstes Projekt oder Deine bisher größte Herausforderung, falls man es überhaupt auf eine Sache beschränken kann, bei der Fülle von Projekten?
Jedes Projekt ist für sich immer das neue Ziel und die nächste Herausforderung. Meine erste Erstbegehung und mein erster 6. Schwierigkeitsgrad, den ich im Gebirge vorgestiegen bin, hatten für mich die gleiche Bedeutung wie End Of Silence, wie Ogre, wie Latok II. Jedes Projekt birgt eine neue Herausforderung. Jetzt liegt das nächste vor mir. Ich haste zwar nicht von Berg zu Berg, sondern ich sehe das eher als Metapher, dass Berge für mich mein Weg zu Gott sind und ich muss diesen Weg gehen. Jeder Mensch hat einen anderen Weg – man muss es ja auch nicht als Gott bezeichnen sondern als seinen inneren Gipfel – und ich gehe ihn eben über die Berge. Ob ich das in fünf Jahren noch genauso sehe, weiß nicht – vielleicht sehe ich dann auch ganz was anderes.
Was muss man neben der Leidenschaft mitbringen, um als Bergsteiger und Kletterer erfolgreich zu sein?
Es genügt leider nicht mehr, der beste Kletterer zu sein. Aber das ist wahrscheinlich in anderen Sportarten genauso. Was muss ein Sportler mitbringen, um erfolgreich zu sein? Gut zu klettern, das sind die Hausaufgaben. Aber das Charisma, was er ausstrahlt, was er zu sagen hat, das ist das entscheidende, um davon leben zu können. Wenn ich nicht davon leben könnte und einen ganz normalen Beruf ausüben müsste, würde ich genauso agieren und versuchen, meine Zeit frei zu schaufeln, um das zu tun, was meine Leidenschaft ist. Mein Bruder und ich haben halt das Glück, dass unsere Ausstrahlung und das, was wir zu sagen haben, von der Umwelt positiv bewertet werden.
Was sind Deine Stärken, was zeichnet Dich aus?
Dass ich sehr emotional bin und dass ich die Menschen mit meinen Vorträgen sehr begeistern kann. Und dass ich verrückt bin.
Und was hast Du für Schwächen?
Dass ich manchmal im Chaos versinke. Dass ich versäume, mir Ruhephasen rauszuziehen, um mich zu erholen. Ich kann oft nicht nein sagen. Ich finde auch schwer die Balance. Wenn ich mal wirklich Ruhe hab, dann falle ich körperlich sofort ab und dann nervt es mich gleich, dass ich nichts tue und im nächsten Moment stehe ich wieder voll im Stress. Diese Abgrenzung – heute bin ich Kletterer und morgen bin ich nur für die Familie da – das fällt mir schwer.
Deine Kinder klettern ja auch – wie gehst Du aus der Sicht eines Vaters damit um? Kommen da auf einmal ganz andere Ängste oder Beschützerinstinkte in einem hoch?
Solange sie das machen, was ich sage, habe ich überhaupt keine Angst. Sie klettern momentan nur an meiner Boulderwand, hin und wieder mal ein wenig am Felsen, das ist noch nichts dramatisches. Aber sie haben schon ganz gute Ansätze. Sie haben sogar bessere Ansätze, als Alexander und ich in dem Alter. Sie sind sehr sportlich und vielleicht ergibt es sich, dass sie auch irgendwann klettern, aber ich werde ihnen nicht den Weg vorkauen, den müssen sie selber gehen. Ich ziehe ihnen auch nicht den Rucksack an, den ich angehabt habe, den müssen sie sich selber packen. Ich gebe ihnen nur alle Möglichkeiten. Elias ist ein super Snowboarder. Er hat den Bayern Cup gewonnen und dominiert seine Altersklasse. Ich habe keine Ahnung, was mal aus ihm wird. Auf jeden Fall sollen sie freie Menschen werden. Man hat als Eltern natürlich einen ganz klaren Erziehungsauftrag, der geht bis maximal 18 Jahre und das versucht man vielleicht noch ihn ein wenig rauszuzögern, aber spätestens mit 25 kannst Du zu Deinen Kindern nur noch sagen passt auf Euch auf ich möchte nicht auf Eure Beerdigung gehen.
Du bist jetzt 41 Jahre alt. Was glaubst Du wie lange Du Deinen Sport noch auf diesem hohen Niveau betreiben kannst?
Damit habe ich gar kein Problem, denn es ergibt sich sowieso von selbst. Vor fünf Jahren hätte man gesagt, mit 40 geht’s abwärts. Aber ich muss sagen momentan bin ich topfit. Ich reiße zur Zeit wirklich schwere Boulder und auch beim Klettern geht’s mir super. Ich habe noch große Ziele vor mir, die im High End Bereich liegen und es geht ja dann weiter im Expeditionsbergsteigen, wo eigentlich meine Stärken liegen. Also kann ich nicht einmal die Zahl benennen, ab welchem Alter es vielleicht nicht mehr geht. Mit Sicherheit bin ich noch bis 50 – wenn mir nichts passiert – in diesem Bereich unterwegs, vielleicht noch länger, vielleicht auch weniger lang. Aber ich will mir auch gar kein Limit setzen. Ich habe aber auch keine Angst davor aufzuhören. Vielleicht ist in fünf Jahren alles vorbei, weil ich mich komplett anders orientiere.
Bitte vervollständige mir zum Abschluss folgende Sätze:
Wenn ich morgen mit dem Klettern aufhören müsste, dann würde ich … Segeln. Die Welt umsegeln.
Natur ist für mich … mein Wohnzimmer.
Jemand, der meine Gefühle beim Bergsteigen und Klettern genau nachempfinden kann ist … mein Partner.
Dass es Sponsoren gibt, die meine Träume unterstützen bedeutet für mich … Das ist die Basis.
Mein wichtigstes Ziel in den nächsten fünf Jahren ist … überleben.
Meine zweite große Leidenschaft neben dem Klettern ist … Familie. Und Musik.
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Interview: Sonja Güldner-Hamel