Rundtour über den Kalten Winkel
Aus dem Rother Wanderbuch “Allgäuer Wanderberge” von Herbert Mayr, © Bergverlag Rother
Schönster Berg der Allgäuer Alpen
So augenfällig sich der Berg der Berge auch von vielen Voralpenhöhen präsentiert, so rar macht er sich auf dem Gipfelgang selbst. Erst lange nach dem Prinz-Luitpold-Haus setzt er sich unvermittelt in Pose und zollt seinen Respekt. Eine Hochvogelbesteigung in Verbindung mit einer Überschreitung der in der Kaltwinkelscharte ansetzenden Kreuzspitze gehört zu den abwechslungsreichsten, allerdings auch längsten Unternehmungen in den Allgäuer Hochalpen. Wegen des brüchigen Hauptdolomit-Gesteins und der geröllbedeckten Passagen ist sauberes Steigen angesagt. Ob man den Bus bis zum Giebelhaus nimmt oder mit dem Bike bis zur Unteren Bärgündelealp kutschiert, vielleicht sogar zu Fuß die Marathontour von Hinterstein wagt, hängt hauptsächlich von der Kondition ab. Die Aussicht vom steinernen Adler erfüllt alle Erwartungen. Unter den weit entfernten großen Gipfeln seien der Großvenediger, die Parseierspitze, der Ortler, der Hohe Riffler und der Säntis erwähnt.
Touren-Steckbrief
Talort:
Hinterstein (866 m). Im Hintersteiner Tal, der Verlängerung des Ostrachtals angesiedelter Ortsteil von Bad Hindelang, Oberallgäu. Mit dem Bus von Sonthofen erreichbar.
Ausgangspunkt:
Kapelle (Bushaltestelle) im Hinterdorf von Hinterstein.
Höhenunterschied/Gehzeit:
1632 m / 10h
Anforderungen/Wegbeschaffenheit:
Anhaltend steile Aufstiege. Steige und Steigspuren, anfangs meist geteerte Alpwege. Leichte Kletterstellen (I) in teils brüchigem Fels erfordern Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Lange und mitunter ausgesetzte Drahtseilabschnitte an der Kreuzspitze (Gefahr bei Gewitter). Nicht bei unsicherem Wetter oder Neuschnee, große Vorsicht bei Hartschnee im Kalten Winkel (Skistöcke und Leichtsteigeisen dringend anzuraten)! Als Zweitagestour mit Übernachtung im Prinz-Luitpold-Haus empfehlenswert. Bis zur Balkenscharte mittelschwer.
Einkehrmöglichkeiten:
Giebelhaus, Untere Bärgündelealp, Prinz-Luitpold-Haus (Übernachtung).
Tourenbeschreibung
Wir nehmen von der Kapelle im Hinterdorf von Hinterstein den Bus zur Berggaststätte Giebelhaus (1065 m). Dort orientieren wir uns an der Beschilderung zum Luitpoldhaus und verlassen nach der Brücke über den Obertalbach Richtung Bärgündele die nun schmälere, aber weiterhin geteerte Fahrbahn. Hinter der Alphütte leitet am Fuß des Giebels ein Steig über den Weidehang empor, der später gemütlich durch lockeren Mischwald an der steilen Bergflanke entlang schleicht. Vor uns zeigt sich die Krone des Glasfelderkopfs. Auf der anderen Talseite stürzt der Täschlefall über eine Felsstufe. Die Route mündet wieder in den bekannten Alpweg, dem wir über eine Serpentine und meist über Alpweiden weiter taleinwärts folgen. Zwischen der Fuchskarspitze und dem Wiedemer Kopf wird auf der markanten Karschwelle bereits das Luitpoldhaus sichtbar. Bei einem Weidegatter kann man auch die beschilderte Abkürzung zur Unteren Bärgündelealp wählen. Der Steig über den Wildbachtobel kostet allerdings einen zusätzlichen Anstieg. Auf dem bequemeren Hauptweg kommt man an der berühmten und denkmalgeschützten, 2000 Jahre alten Eibe vorbei, deren reichlich durchlöcherter Stamm nicht zu übersehen ist. Kurz zuvor veranstalten bei der Talstation der Materialseilbahn zum Luitpoldhaus die niederstürzenden Quellbäche ein lautstark vernehmbares Konzert. Unmittelbar vor der kleinen Pointhütte (1319 m) achten wir auf den Wegweiser “Alpe Bärgündle“. Der hier abzweigende flache und rauhe Alpweg quert auf einer Holzbrücke den Stierbach. Eisenstege erleichtern zwei weitere Bachquerungen. Hauptattraktion des krönenden Talschlusses, in dem zeitweise noch der Adler horstet, ist die schneidige Aptychenkalk-Nase des Schnecks. Dieser präsentiert hier seine rassigste Seite: die überhängende Ostwand. Die Untere Bärgündelealp (1322 m) mit ihrem weit heruntergezogenen Walmdach wird uns nach dem langen Talmarsch mit einem verlockenden Brotzeitangebot erfreuen.

Blick hinab auf die Obere Bärgündelealp (auf 1322m Höhe) in der Naehe des Prinz-Luitpold-Haus, Allgäuer Alpen, Bayern, Deutschland – Foto: Mario Hübner
In meist angenehmer Steigung geht’s anschließend auf dem breit ausgetretenen und mitunter felsigen Steig an einem Wasserfall vorbei, hinauf durch die Krummholzzone und über das Weidegelände der Oberen Bärgündelealp. Stege sorgen dafür, daß wir beim Überschreiten zweier Sturzbäche trockene Füße behalten. Nochmals sind ein paar glitzernde Wasserfälle zu bestaunen, dann ist es über den Geröllhang am Fuße des Wiedemerkopfs empor nicht mehr weit zum ersehnten Prinz-Luitpold-Haus (1846 m) mit prächtigem Daumenblick.
Über dem Hüttenstandort mit den beiden nicht alltäglichen Dreikantgebäuden – Winterraum und Kläranlage thront mit wilden Schichtenwindungen die aus Hauptdolomit auffallend geformte Fuchskarspitze. Rechts des landschaftlich außerordentlich reizvoll gelegenen Alpenvereins-Stützpunktes zeigt der klotzige Wiedemer ebenfalls anschaulich, wie die ursprünglich horizontalen Schichten mittels unvorstellbarer Kräfte in die verwegensten, überkippten Falten gelegt wurden. Die prägnant ausgewitterten Felsstrukturen in der Berührungszone zwischen Allgäu- und Lechtaldecke liegen bloß wie ein aufgeschlagenes Lehrbuch der Geologie. Vom Luitpoldhaus erkennt man auch bereits das Kreuz des prominenten Gipfelziels.
Der Richtung Hochvogel beschilderte Steig quert nun oberhalb des kleinen Sees gemütlich das Kar am Wiedemer. In der Fallinie des Kreuzkopfs weist uns das Wegschild über einen Sturzbach. Nach einer kleinen Felsstufe werden die quirligen Bergwasser abermals gequert. An der Verzweigung unter der neckischen, kreuzgeschmückten Felsnadel des Balkens richten wir uns nach der Bezeichnung “Hochvogel über Kalter Winkel“. Faszinierend ist der Blick zur zerschrundenen Fuchskarspitze mit ihren senkrecht gestellten Schichten. Im Zickzack geht’s bald steil bergauf über den anfangs begrünten Schutthang zur Balkenscharte (2157 m). Unter uns befindet sich das Fuchskar und der Talschluß des Schwarzwassertals. Von hier läßt sich mittels mäßig schwieriger Kletterei in wenigen Minuten das Schärtchen kurz unter dem kecken Spitz des Balkens erreichen. Die letzten Meter sind allerdings nur von Könnern zu meistern. Sich ohne weitere Sicherung blauäugig dem verblichen herunterhängenden, mit ein paar Halteknoten gezierten Reepschnürchen anzuvertrauen, kann nicht gerade als Lebensversicherung angesehen werden.

Prinz-Luitpold-Haus am Morgen (auf 1846m Höhe) mit dem darüber thronenden Wiedemerkopf (mit 2163m Höhe), Allgäuer Alpen, Bayern, Deutschland – Foto: Mario Hübner
Nach der Grenzüberschreitung auf die Tiroler Seite leitet der Hochvogel-Wegweiser die flache Querung der Geröllflanke östlich unterm Kreuzspitz-Nordgrat ein. Zwischendurch sorgen ein paar leichte Felspassagen auf dem stets bestens markierten Steig für Abwechslung. Der anschließende kurze Felsenübergang über das Sättele (2136 m), einem Gratast der Kreuzspitze, ist mit ein paar Eisenstiften gesichert (I) und verlangt ein kurzes Zupacken. Hier steht man plötzlich vor dem stolzen Regenten, der von der Nähe allerdings lange nicht mehr so solide gemauert und kantig wirkt wie aus dem Alpenvorland. Schuttübersät ist seine Gipfelflanke. Alles ist vergänglich, sogar der Berg der Berge. An der darauffolgenden Verzweigung zeigt die gewohnte Beschilderung über eine weitere Geröllflanke zum beachtlich aufsteilenden Firnfeld des Kalten Winkels. Der Grenzverlauf schlägt hier bis zum Hochvogelgipfel einen Firnfeld befindet sich auf bayerischem Boden, die Kaltwinkelscharte (2283 m) bereits wieder auf Tiroler Hoheitsgebiet. Jenseits der Scharte öffnet sich das Jochbachtal. Unsere Route steigt über Schrofengelände mit gelegentlichen Felsstufen (I) zunehmend steiler bergan. Die Kletterei stellt jedoch nirgends große Ansprüche. Auf dem überdachten, flach verlaufenden Felsband der sogenannten Schnur mogeln wir uns rechts um die Westschulter herum. Durch eine kurze Rinne gelangt man anschließend hinauf zur schuttbedeckten Westabdachung des Gipfels, über die man in Kehren auf das oberste, blockige Gratstück steigt. Dann sind es nur noch ein paar Meter auf den Hochvogel (2592 m) mit dem Gedenkkreuz an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Gebirgsjäger.
Zurück in der Kaltwinkelscharte treibt uns der Richtung Kreuzspitze beschilderte, längere anstrengende Abschnitt über eine drahtseilversicherte Schrofenflanke (I) nochmals den Schweiß auf die Stirn. Eine ebenfalls gut markierte, leichte Kletterei. Im weniger steilen Gelände leiten neuerliche Drahtseile den anfangs leichten Abstieg ein. Von dort führt ein unmarkierter Steig in Kürze empor zum Gipfel der Kreuzspitze (2367 m) mit schönem Abschiedsblick zum Hochvogel.
Wie schon im Aufstieg, so geht’s auch nach dem kurzen Rückweg zur gesicherten Route und der nördlichen Umgehung des Gipfelaufbaus über eine steile Schrofenflanke (I) bergab. Das Abklettern erfordert trotz der Sicherungen vorsichtiges Steigen. Der Abstieg durch das lange Geröllkar mündet unter der Balkenscharte in die bekannte Route übers Prinz-Luitpold-Haus nach Hinterstein.

Prinz-Luitpold-Haus am Morgen (auf 1846m Höhe), Allgäuer Alpen, Bayern, Deutschland – Foto: Mario Hübner
Tourenüberblick
Die GPX-Daten wurden auf Grundlage der geprüften GPX-Daten
des Rother Wanderbuch “Allgäuer Wanderberge” erstellt.
Mit freundlicher Genehmigung des Bergverlag Rother.
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