Westwand, V
Südkante, VI-/A0, frei VI
Aus dem Buch “ABENTEUER Alpinklettern TIROL” von Otti Wiedmann, © Tyrolia Verlag
Es gibt nur wenige ähnlich schlanke und imponierende Felsnadeln wie die Gipfelstürmernadel. Der Scheienzahn im Rätikon, die Aiguille la République in den Nadeln von Chamonix, die Salbitnadel und die Fiamma im Bergell können einem Vergleich standhalten, mehr aber auch nicht. Man hält es gar nicht für möglich, dass auf diese megadünne Nadel, die am höchsten Punkt kaum Platz für zwei Personen bietet, insgesamt vier Anstiege führen. Neben der Normalroute (Westwand) und der Buhlkante (Südkante) gibt es noch die “Schiendl/Jeitler” an der Ostwand und die “Buhl/Schiendl” an der fast 100 m hohen Nordkante – aber bis es zu dieser Route kam, musste Buhl am Fuß der Nadel eine Demütigung hinnehmen. 1940 war der damals sechzehnjährige Hermann als Jungmannschaftler bei einem Gipfelstürmerausflug zur Nadel mit dabei und er brannte darauf, diesen kühnen Zacken zu bezwingen. Die gestandenen “Gipfelstürmer-Mander”, allen voran der oftmalige Auckenthaler-Partner Hannes Schmidhuber, erklärten dem Hermann aber, dass sie ihn für zu jung und schmächtig hielten, da hinaufzusteigen, und verweigerten ihm kategorisch einen Versuch. Es half kein Bitten und kein Flehen. Ein Jahr darauf wurde Hermann Buhl selbst Mitglied des “Gipfelstürmer”-Klubs und ließ durch großartige Erstbegehungen aufhorchen (z. B. Maukspitze-Westwand). An der Gipfelstürmernadel war er gleich mehrmals erfolgreich. Begangen wird heute meistens nur mehr die Westwand, selten die Südkante und fast nie die beiden anderen Wege.
Routenbeschreibungen
Die Nadel erreicht man vom Solsteinhaus über den gut markierten Normalweg zur Erlspitze (Südflanke, stellenweise I+). Etwa 60 bis 70 m unterhalb des Gipfels in einem “Schartl” wandert der Blick nordostseitig automatisch zu diesem markanten Felsgebilde. Durch die Schlucht ca. 60 bis 70 m absteigend erreicht man den Einstieg, wobei im Frühsommer noch unangenehme Schnee- und Eisreste diesen kurzen Abstieg erschweren können. Der Westwandweg fängt gleich links mit einer schwierigen Kletterstelle (V) an. Zuerst geht’s auf den angelehnten Pfeilerkopf hinauf und weiter durch die Wand, zum Schluss direkt in die kleine Gipfelgabel. Am besten klettert man die knapp 40 m in einem Zug durch und macht am neuerdings verankerten Gipfel-Bohrhaken (!) Stand. Die Buhlkante (Südkante) ist nicht mehr so übernagelt, wie sie einmal war, aber im oberen Teil stecken immer noch einige Haken. Im jetzigen Zustand ist sie aber schon wesentlich schwieriger als die Westwand. Der Einstieg ist nur unwesentlich von dem der Westwand entfernt. Es beginnt gleich recht knackig, da nur wenige Sicherungsmöglichkeiten vorhanden sind und die ersten Klettermeter schon einen guten Umgang mit den Gegebenheiten verlangen.
Rund um das Solsteinhaus gibt es dank der Initiative der Hüttenbetreiber heute Klettermöglichkeiten für ein verlängertes Wochenende und mehr. Die Tourenmöglichkeiten reichen von der Kumpfkarspitze-Westwand über die nordseitigen Solsteinwände, über die Kuhljochspitze bis hinüber zu den Freiungen, die mit dem Nordwandriss des Freiungszahns eine interessante, sehr steile Tour in verblüffend gutem Karwendelfels bieten. Für Könner und Gebietsliebhaber ein absolutes Muss. Von den im Gebiet verstreuten unzähligen Nadeln ist die Gipfelstürmernadel die eindeutig interessanteste und kann z. B. im Anschluss an die Kuhljoch-Nordwand (“Solleder”) und die Überschreitung zur Erlspitze den krönenden Abschluss eines ausgedehnten, erlebnisreichen Klettertags ausmachen.
Tourenbeschreibung
Erstbegeher/Erhalter:
Westwand: Luis Netzer und Hans Berghammer, 1918.
Südkante: Hermann Buhl und Heli Pietersteiner, 1947.
Schwierigkeit:
Westwand: V.
Südkante: VI-/A0, frei geklettert VI.
Kletterzeit:
½ bis 1 Stunde (Wandhöhe knapp 40 m).
Material:
Einfachseil (50 bis 60 m) oder Doppelseil, 6 bis 7 Expressschlingen, ein paar Klemmkeile und Friends, klein bis mittel, Bandschlingen (60 und 120 cm).
Talort:
Hochzirl
Hütten:
Solsteinhaus
Ausgangspunkt:
Solsteinhaus (1805 m), von Hochzirl (1000 m) in 2½ Stunden erreichbar.
Gebietsüberblick
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